Splittersteine, die zu Geschossen werden. Steinbrocken, die bis zu 20 Meter hochspringen. Die Schlagzeilen zum Bergrutsch in Brienz waren brisant. Und viele stellten sich die Frage: Wie können wir uns vor Naturgefahren schützen? Wie können wir aber auch sicherstellen, dass die Natur trotz Klimaveränderung und menschlichen Eingriffen so intakt wie möglich bleibt?
Am Ende ging es glimpflich aus für das kleine Dorf in Graubünden. Dennoch hat die Natur eindrücklich gezeigt, dass sie ihren eigenen Kopf hat und ständig in Bewegung ist. Dank konstanter Forschung sind Wissenschaftler jedoch in der Lage, viele Naturphänomene und ‑gefahren vorauszusagen und frühzeitig entsprechende praxistaugliche Lösungsansätze zu ergreifen. Dabei geht es einerseits um den Schutz der Menschen selbst, andererseits aber vor allem auch um den Schutz der Natur.
Im Jahr 2022 haben die Schweizer Gletscher rund drei Kubikkilometer an Eis verloren – ein Rekord, der nachdenklich macht. Noch nachdenklicher. Die Klimaveränderungen und die immer weiter steigenden Durchschnittstemperaturen setzen dem frostigen Element zu. Daher ist ein Schwerpunkt am Forschungszentrum CERC in Davos unter anderen der Permafrost. Er ist der natürliche Kitt, der Berge und Gestein zusammenhält. Taut er auf, kommt es zu Felsstürzen und Murgängen, was grossen Einfluss auf die alpine Infrastruktur hat. Bergbahnen, die Infrastruktur am Berg und der Schutz von Dörfern sowie Zugangswegen müssen entsprechend konzipiert und angepasst werden. Das zum WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF gehörende Institut CERC beobachtet daher konstant die Situation der alpinen Regionen in Graubünden und plant darauf aufbauend notwendige Massnahmen und Vorkehrungen, um, wie in Brienz, frühzeitig handeln und auch in Bezug auf Lawinenabgänge entsprechende Vorhersagen tätigen zu können. Die Digitalisierung hat das Forschen auch für die (angehenden) Wissenschaftler in Graubünden einfacher gemacht und neue Kooperationen ermöglicht.
Gletscher können und dürfen sich erholen
Auch an der Fachhochschule Graubünden setzt man sich mit dem Thema Gletscherforschung auseinander und bietet am Institut für Bauen im alpinen Raum (IBAR) Bachelor-Studiengänge im Bereich Architektur und Bauingenieurswesen an. Neben den klassischen Grundlagen liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Frage, welche besonderen Baulösungen im Alpenraum wichtig sind. Es geht um die Arbeit am, aber auch mit dem Berg. Im Forschungsfeld Angewandte Glaziologie gehen die Studierenden unter anderem eingehend auf den Erhalt von Gletschersubstanz ein. Am Physikalisch-Meteorologischen Observatorium und Weltbestrahlungszentrum (PMOD/WRC) wird bereits seit dem Jahr 1907 der Einfluss der Sonnenstrahlung auf das Erdklima erforscht – wobei es nicht nur um Erderwärmung geht. Die in diesem Kontext entwickelten Instrumente dienen dem Einsatz im Weltraum, aber auch auf dem Boden.
Die Machbarkeitsstudie zum Gletscherpflegeprojekt MortAlive zeigt visionäre Perspektiven auf. Doch bereits heute werden in Graubünden pragmatische, aber aufwendige Massnahmen umgesetzt. So kommt zum Beispiel an verschiedenen Stellen die effektive Möglichkeit zum Einsatz, Teile von Gletschern mit Textilplanen vor der Sonne zu schützen. So verschafft man dem Berg die Chance, sich im Kern zu erholen und neues Eis aufzubauen.
Gemeinsam im Sinne der Natur
Das Zentrum für Angewandte Glaziologie (ZAG) beschäftigt sich ebenfalls mit der Gletscherpflege und dem Bau- und Planungswesen im alpinen Raum und setzt dabei auf die Unterstützung der Academia Engiadina und der Fachhochschule Graubünden. Andere Projekte, initiiert von Bündner Institutionen, machen sich die Jahreszeiten zu Partnern. Wenn beispielsweise das im Sommer anfallende Schmelzwasser eines Gletschers möglichst hoch oben gesammelt würde, könnte dieses im Winter in Form von Schnee wieder recycelt und dem Gletscher zurückgeführt werden. Dies könnte die Gletscherschmelze verzögern. Das langfristige Ziel auch hier: ein konstanter Wiederaufbau des Gletschers, um den Gletscher in seiner heutigen Form zu erhalten.
Machen Sie mit
Graubünden gehört in der Schweiz seit Jahren zu den führenden Kantonen, wenn es um die Erforschung der Bergwelt geht. Entsprechend vielfältig ist daher auch das Angebot, sich in diesem Bereich aus- und weiterzubilden